Menschen besitzen ganz erstaunliche Kompetenzen. Wir können jederzeit mehr als eine Sprache lernen. Ihre Herkunft, Ihre Muttersprache, Ihr IQ-Wert und Ihr Alter sind dabei unerheblich. Trotzdem können Sie jede Sprache, die Sie lernen möchten, fließend beherrschen.
Der weit verbreitete Mythos besagt, je älter man ist, desto schwieriger ist es, eine Fremdsprache zu erwerben. Wegen dieses Mythos unternehmen viele Menschen nicht einmal den Versuch, eine zweite Sprache zu erlernen. Aber nichts ist unmöglich. Heute werden wir darüber diskutieren. Zunächst aber sollten wir klarstellen, was Bilingualismus und später Bilingualismus eigentlich darstellen.
Bilingualismus liegt dann vor, wenn eine Person zwei Sprachen gleichermaßen sprechen kann. Im Gegensatz dazu bedeutet später Bilingualismus, dass Menschen die zweite Sprache nach dem 6. oder 7. Lebensjahr, im Teenageralter oder im Erwachsenenalter erlernen.
Heute konzentrieren wir uns auf den späten Bilingualismus.
Das Gehirn eines Erwachsenen
Viele behaupten, dass das Wachstum des Gehirns mit dem 18. Lebensjahr stoppt. Aber das stimmt gar nicht. Nun beweisen viele Forschungsstudien, dass das Gehirn sich bis zum Alter über 20 Jahren weiterentwickelt und sich anpasst.
Das Gehirn eines Erwachsenen unterscheidet sich vom Gehirn eines Jugendlichen. Bis zum Erwachsenwerden verliert das Gehirn an grauer Substanz, weil Überschuss von Neuronen und Synapsen zurückgenommen wird. Das kommt bis zum Alter von 26-29 Jahren. Zugleich bilden einige Gehirnregionen stärkere Verbindungen miteinander. Die Mehrzahl der Nervenbahnen ist mit Myelinscheide isoliert. Das heißt, dass es die weiße Substanz des Gehirns stärkt. Im Alter von 40 Jahren erreicht die Ausmaße der weißen Substanz ihren Höhepunkt.
Mit unserem Erwachsenwerden verbinden sich weit verstreute Hirnareale miteinander, so dass größere und umfassendere Netzwerke entstehen.
Der Vorderteil des Frontallappens, der als präfrontaler Kortex bezeichnet wird, wird im Erwachsenenalter vollständig “aufgerichtet”.
Der präfrontale Kortex ist für exekutive Funktionen zuständig. Beispielsweise die Kontrolle bestimmter Aspekte der Rede und der Sprache, des Kurzzeitgedächtnisses, der Entscheidungsfindung, der Planung usw. Der Vergleich des Gehirns eines Erwachsenen mit dem eines Teenagers lässt uns erkennen, dass das Gehirn eines Erwachsenen besser auf kognitive Kontrolle angelegt ist. Das heißt, dass das erwachsene Gehirn bei der Entscheidungsfindung stärker von Belohnungen, sozialer Akzeptanz und selbstverständlich auch von Emotionen abhängig ist.
Der Psychologe Raymond Cattell war derjenige, der im Jahre 1963 als Erster die Konzepte der fluiden Intelligenz und der kristallisierten Intelligenz eingeführt hatte. Die fluide Intelligenz bezeichnet die Kompetenz, neue Problemstellungen zu bewältigen. Er umfasst viele wesentliche Kompetenzen. Beispielsweise das Verständnis und das Lernen. Demgegenüber ist die kristallisierte Intelligenz die Kompetenz, sekundäre relationale Abstraktionen aus zuvor erlernten primären relationalen Abstraktionen abzuleiten. Die kristallisierte Intelligenz entwickelt sich bis zum Alter von ungefähr 50 Jahren.
Selbstverständlich spielen die fluide und die kristallisierte Intelligenz beim Erlernen einer Fremdsprache eine erhebliche Rolle.
Alter für den Erwerb der zweiten Sprache
Viele glauben, je jünger man ist, desto besser lernt man eine Fremdsprache. Aber es gibt keine Forschungsergebnisse, die belegen, dass Kinder das Niveau der Beherrschung von der zweiten Sprache von Erwachsenen erreichen (Hartshorne et al., 2018).Den Kindern reicht die nötige soziale Erfahrung nicht, um das Niveau von Erwachsenen zu erreichen.
In derselben Forschungsarbeit wurde auch herausgefunden, dass eine Gruppe von Menschen im Alter zwischen 30 und 70 Jahren ähnliche Ergebnisse beim Erlernen einer zweiten Sprache erzielte wie eine Gruppe von Jugendlichen unter 12 Jahren.
Eine weitere Forschungsarbeit: “Eine entscheidende Periode für den Zweitspracherwerb: Beweisführung bei 2/3 Millionen Englischsprechern” belegt, dass es fast keinen Unterschied macht, wie alt man ist, wenn man eine Fremdsprache lernt. Ein weiteres interessantes Forschungsergebnis besagt, dass
sogar nicht muttersprachliche Immersionslerner, die in ihren späten 20ern mit dem Lernen einer Fremdsprache angefangen haben, die jüngsten Muttersprachler in unserem Datensatz letztendlich übertrafen (Hartshorne et al., 2018).
Gehirnplastizität
Gehirnplastizität bezeichnet den Vorgang, bei dem das Gehirn mit zunehmendem Alter lernt, seine Vernetzungen verändert oder sich neu ausrichtet.
Wissenschaftler haben bewiesen, dass bilinguale Menschen über eine kognitive Reserve verfügen. Sie erbringen bessere Leistungen bei der exekutiven Kontrolle. Die Gehirne Bilingualer verändern ihre Strukturen und Funktionen im Vergleich zu denen Monolingualer. Bilingualismus verzögert Demenz und einige andere Krankheiten, die mit dem Gedächtnis zusammenhängen.
Außerdem unterstützt das Erlernen einer zweiten Sprache die Neuroplastizität.
Die Neurolinguistik hat mit Hilfe bildgebender Verfahren untersucht, wie sich bestimmte Aspekte des Sprachenlernens auf das zweisprachige Gehirn auswirken. Wir wissen bereits, dass die linke Hemisphäre des Gehirns dominanter ist. Wir haben außerdem festgestellt, dass die linke Gehirnhälfte bei logischen Prozessen analytischer ist. Zugleich ist die rechte Hemisphäre stärker an sozialen und emotionalen Themen beteiligt.
Im Jahre 1959 stellten der Neurologe Wilder Penfield und sein Mitautor Lamar Roberts eine Hypothese auf, die als “Hypothese der kritischen Periode” oder “Hypothese der sensiblen Periode” bezeichnet werden könnte. Diese Hypothese besagt, dass es einen perfekten Entwicklungszeitraum für das Gehirn gibt, um eine Sprache in einer sprachlich reichen Umgebung zu erlernen. Die Hypothese besagt auch, dass es nach diesem Zeitraum sehr viel schwieriger ist, eine zweite Sprache zu erlernen. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass es für Kinder viel einfacher ist, eine zweite Sprache zu erlernen, weil ihr Gehirn plastischer ist und Kinder die beiden Hemisphären benutzen, während Erwachsene nur eine beim Erlernen einer Sprache benutzen. Diese Hypothese ist der Gegenstand einer lang anhaltenden Debatte in der Linguistik.
Im Gegenteil, die neuesten Forschungsergebnisse stellen dar, dass Erwachsene, die mit dem Erlernen einer neuen Sprache anfangen, weniger empfindlich auf Emotionen reagieren. Sie haben auch eine rationalere Herangehensweise, wenn es um Problemlösungen geht.
Es spielt dabei keine Rolle, wie alt Sie sind, um eine neue Sprache zu lernen, da das Gehirn von mehrsprachigen Menschen eindrucksvolle Vorteile aufweist. Zum Beispiel gibt es eine größere Masse an grauer Substanz. Darin befinden sich die meisten Neuronen und Synapsen des Gehirns. Es wurde entdeckt, dass es aktiver beim Erlernen einer Fremdsprache ist.
Die Vorteile des Erlernens einer zweiten Sprache im Erwachsenenalter:
- Behalten Sie Ihr Gehirn scharf und aktiv. Diejenigen, die mehr als eine Sprache sprechen, haben eine größere intellektuelle Flexibilität und sind in der Lage, schneller Informationen zu verwalten.
- Das Erlernen der zweiten Sprache verzögert Symptome von Demenz und Alzheimer-Krankheit.
- Erweitern Sie Ihre Problemlösungskompetenz. Die neuesten Forschungsergebnisse stellen dar, dass Erwachsene, die mit dem Erlernen einer neuen Sprache anfangen, weniger empfindlich auf Emotionen reagieren.
- Sie erhalten mehr Beschäftigungsmöglichkeiten. Heutzutage gibt es viele Jobangebote, in denen Menschen gesucht werden, die mehr als eine Sprache sprechen. Im Übrigen finden Sie in anderen Ländern viel leichter einen Arbeitsplatz.
- Das verbessert Ihre Verständigung mit Ausländern. Wenn Sie verreisen oder neue Kontakte mit Menschen aus anderen Ländern knüpfen, wird Ihnen eine Fremdsprache dabei helfen, Ihre Gedanken kohärent zu formulieren.
Es ist nicht so wichtig, welche Sprache Sie zum Erlernen wählen, auf jeden Fall können Sie auf mehr als eine Weise zur Welt beitragen.
SPRECHEN BAUEN BEITRAGEN
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